Kunstaktion
"Wachsender Adventskalender" - Tag 16

Das
Bild kenn ich doch! Es hing zwei Monate in meiner Werkstattgalerie.
Keiner der Besucher konnte es entschlüsseln. Im Vordergrund
liegt ein Mann auf der Erde, im Hintergrund steht eine Frau. Dazwischen
wechseln helle und dunkle Flächen, man ahnt manches, kann
es aber nicht deuten.
Vorlage war die Beweinung des heiligen Sebastian von Georges de
Latour, wie mir Wilhelm Schiefer gesagt hatte. Der heilige Sebastian
wurde von Pfeilen durchbohrt - mehr weiß ich leider nicht
von seinem Leben. (Utz Peter Greis)
Erst
auf den zweiten Blick erkenne ich, was hier dargestellt ist: Wilhelm
Schiefer transformiert das Bild eines anderen Künstlers,
er setzt es um in ein reines Schwarzweiß. Ich habe das Motiv
schon gesehen. Wann? Wo? Ich weiß nur, es muss das Bild
eines Franzosen sein, eines Barockmalers. Wer könnte es sein?
Ich probiere einige Namen aus. Nichts. Dann, unerwartet: Georges
de La Tour. Jener Maler aus dem 17. Jahrhundert, der durch Licht
und tiefe Schatten Intensität erreicht. Das Bild: Jemand
hält eine Kerze oder eine Fackel und beleuchtet den am Boden
Liegenden, einen Verletzten oder Toten. Weiter komme ich nicht.
Mein zweites Gedächtnis muss helfen. Ich gehe ins Internet,
und bald habe ich einige vorzügliche Abbildungen mit hoher
Auflösung: "Die Beweinung des hl. Sebastian durch Irene".
Das Bild hängt in der Gemäldegalerie in Berlin. Habe
ich dort das Original gesehen oder doch nur Abbildungen? Ich weiß
es nicht. Aber wieder wundere ich mich darüber, wie still
und verhalten Gestik und Mimik der Personen sind und wie durch
die starken Helldunkelkontraste die Szenerie Dramatik erhält.
Was mag Wilhelm Schiefer zu dieser Transformation bewogen haben,
die kaum mehr ist als der flüchtige Gedanke an das Original?
Sicher der starke Helligkeitskontrast der nächtlichen Szene.
Vielleicht auch das Motiv, die innige Hinwendung der vier Personen
zu dem Totgeglaubten. Mir jedenfalls hat dieses zunächst
verwirrende Schwarzweiß geholfen, die verschüttete
Erinnerung an ein eindrucksvolles Werk von Georges de La Tour
freizulegen und dieses mit einer geschärften Aufmerksamkeit
zu betrachten, über die ich früher nicht verfügte.
(Helmut Engels)