Brücken über den Nordkanal
- ein Kommunikationsmodell
(von Dr. Hannelore Kersting, stellv. Leiterin des Museums Abteiberg,
Mönchengladbach)
Ein etwas surreal anmutendes Ensemble
aus fünf architektonischen Holzobjekten erhebt sich, von Stelzen
getragen, in die Höhe: insgesamt immerhin über 14 m hoch.
Weithin sichtbar überragt es die Bäume, die den Nordkanal
säumen.
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Dieses
komplexe Projekt eröffnet vielfältige inhaltliche
Ebenen, indem es den bedeutungsvollen Standort am Nordkanal
mit künstlerischen Mitteln interpretiert. Der Nordkanal
- 1808-1810 von Napoleon in der Absicht erbaut, Rhein und Maas
miteinander zu verbinden - ist zum einen ein überregionales
und historisches Bodendenkmal. Zum anderen ist er aber auch
eng mit der lokalen Geschichte verwurzelt. Als eine Art natürliche
Trennlinie war er geradezu prädestiniert, Grenzverläufe
sichtbar zu machen - in früheren Zeiten zwischen Liedberg
und Hülchrath, später die Grenze zwischen Kaarst und
Büttgen. Letztere ist auch Jahre nach der Zusammenlegung
der beiden Gemeinden noch immer gegenwärtig in den Köpfen,
wobei der Kanal vielleicht dazu beiträgt, die Erinnerung
wach zu halten, während die Brücken zu einer zumindest
symbolischen Vermittlung verhelfen.
Der Standort des Kommunikationsmodells ist ein Knotenpunkt,
an dem eine Reihe von Strängen zusammentreffen. Durch den
indirekten Bezug zu Gegenwart und Vergangenheit beinhaltet das
Modell nicht nur eine zeitliche Komponente. |
Es reagiert auch auf die sehr konkreten
Gegebenheiten einer ausgeprägten räumlichen Achse, denn
etliche Verkehrswege laufen hier zusammen: Schienenstränge,
Wasserstraße, Fußgängerweg und Autostraße.
Das Projekt ist in vielerlei Hinsicht ein Haltepunkt in dem hektischen
Durchgangsverkehr, der sich wiederum am Verlauf des Nordkanals orientiert,
zu dem er parallel geführt wird. Einen deutlichen Akzent dagegen
setzt eine Fußgängerbrücke über den Kanal,
die einen wichtigen Zugang bildet zum neu eingerichteten Haltepunkt
der Regiobahn. Diese Brücke schafft eine Querverbindung und
überwindet die durch den Kanal geschaffene Distanz zumindest
punktuell.
Wilhelm Schiefer bestätigt und vergegenwärtigt die vermittelnde
Funktion der Brücke, indem er sie zentral in sein Projekt einbezieht.
Links und rechts um sie herum gruppieren sich die fünf Häuser
auf beiden Ufern des Nordkanals. Diese turmhohen Elemente aus weitgehend
naturbelassenem Holz sind untereinander verbunden durch ein aufwändiges
System aus filigran strukturierten Leitern und Brücken, von
denen nur eine wirklich begehbar ist - und zwar jene bereits existierende
Fußgängerbrücke. Die fünf schlichten Raumkörper
wecken mit ihren abstrahierten Schrägdächern, Türen
und Fensteröffnungen vielfältige und vergleichsweise allgemeine
Assoziationen von Holzhütten, Hochständen und Wachtürmen.
Speziell auf den Standort bezogen stehen die fünf Haus-Objekte
zudem symbolisch für die fünf Stadtteile von Kaarst (Kaarst,
Büttgen, Holzbüttgen, Driesch, Vorst) und ihr gelegentlich
im zwischenmenschlichen Bereich etwas gestörtes Verhältnis
zueinander. Die Schwierigkeit der Verständigung untereinander
und das Absurde dieser Situation werden besonders anschaulich durch
den kühnen Vorstoß in die Höhendimension des Luftraums.
Wilhelm Schiefer setzt seine künstlerischen Objekte deutlich
ab von dem erdverbundenen, horizontalen Verlauf der funktionellen
Verkehrs- und Transportwege, die zu Lande und zu Wasser zielstrebig
von einem Punkt zum nächsten führen.
Optisch
überhöht und "beschleunigt" wird die vertikale
Ausrichtung des Kommunikationsmodells nicht zuletzt durch die
flüchtende Perspektive der vier Stützen eines jeden
"Hauses", die auffallend schräg verlaufen. Sie
scheinen die Schwerkraft aufzuheben und verleihen dem Ensemble
eine gewisse Leichtigkeit. Diese wird noch augenfälliger
durch das Gespinst von Windverbänden, die in Form von grazil
wirkenden Drahtseilen den oberen Teil der Türme vernetzen.
Statisch bedingt, um die enormen Windkräfte in der Höhe
von 14 m aufzufangen, bekommen sie optisch eine Bedeutung von
geheimnisvollen Verknüpfungen und Leitungen, so wie bei
gotischen Kirchen Strebesysteme über ihre statische Bedeutung
hinaus eine inhaltliche Aussage machen. Zugleich lässt
die luftige Höhe die Objekte noch absurder und im wahrsten
Sinne des Wortes entrückter erscheinen, als sie ohnehin
schon sind, denn sie bleiben gänzlich unerreichbar. Sie
lösen sich von der Basis, um zueinander auf Distanz zu
gehen und um jeder für sich nach oben zu streben. Mit dem
Kontakt zum Boden verlieren sie auch ihre natürliche gemeinsame
Bezugsebene und geraten in Isolation. Dies zieht einen großen
Aufwand nach sich: Während die Stelzen dazu dienen, einen
künstlichen Abstand zu schaffen, ist ein grotesk umständliches
System aus Leitern und Stegen notwendig, um gerade diese Distanz
mühsam wieder zu überwinden. |
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Es sind ebenso imposante wie hilflose
Maßnahmen, die letztlich die selbst verursachten Hindernisse
und Gräben noch unüberwindbarer erscheinen lassen, denn
bei aller Anstrengung bleiben sie wirkungslos. Die untersten Sprossen
der Leitern sind viel zu hoch, um sie erklimmen zu können,
andere sind zu kurz, um an ihr Ziel zu gelangen, und auch eine Brücke,
die wie ein Drahtseil zwischen zwei Häusern gespannt ist, bleibt
außer Reichweite. Die angebotenen Wege entlarven sich bei
näherem Hinsehen als Täuschungen und Irrwege.
Aber nicht nur für Sisyphus
ist der Weg das Ziel, und so ist bereits das Bemühen um Vermittlung
sinnvoll. Dies betrifft insbesondere den Betrachter des Werkes,
denn schließlich ist er es, dem das Benutzen der nicht funktionierenden
Leitern versagt bleibt. Er sieht sich mit der ausgeprägten
Höhendimension konfrontiert, und selbst wenn Wachturm und Hochstand
traditionell Bauwerke sind, die vergleichsweise harmonisch in die
Natur integriert sind, mag er sich doch daraus beobachtet fühlen.
Die Adressaten des Werkes sind die Menschen, die auf dem alltäglichen
Weg zur Haltestelle vielleicht etwas ratlos vor den Türmen
stehen, weil sie nach einem Zugang suchen, der allen verwehrt bleibt.
Sie sind die eigentlichen Hauptpersonen dieser Inszenierung. Während
in den höheren Regionen der Luftschlösser Vermittlung
und Austausch nur noch indirekt oder gar nicht mehr möglich
sind, bleiben die Passanten auf dem Boden, der als gemeinsame Basis
alle Möglichkeiten des Handelns und Kommunizierens offen lässt.
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