Kunstaktion
"Wachsender Adventskalender 2006" - Tag
6
Da
steht er, der dämonische Verführer, und die gesichtslose Menge
steht bereit ihn zu bejubeln. Ein Blender ist er, der
sich eine helle Maske vor sein schwarzes
Antlitz gelegt hat. Da steht er, ein doppelzüngiger Verkünder
einer halben Wahrheit, deren andere Hälfte er
gut verborgen hinter dem Rücken hält. Ein Hochstapler ist
er, der sich über alle gestellt hat,
damit er gesehen wird. Ein Abgründiger ist er,
der die Menge längst hat fallen sehen. "Bleib bei uns!
Berühre uns!", strecken sich die Hände
dem Falschspieler entgegen. "Rette uns!",
schrillt es aus dem Megaphon. Aber er ist schon längst unter
ihnen. Verena Kleist
Erinnerungen
an vergangene Zeiten: "Heil, mein Führer! Führer befiehl,
wir folgen dir!"
Aber gibt es
nicht immer noch diese Sehnsucht nach der starken Hand, die
uns die Richtung weist, nach der entschlossenen Stirn, die
uns die Entscheidungen und das Denken abnimmt? Ist es nicht
sogar eine adventliche Sehnsucht? Doch derjenige, dessen
Erscheinen ich erwarte - ich glaube sogar, er ist schon da!
- nimmt mir keine Entscheidungen ab - er stellt mich vor
Entscheidungen.
Josef
Grüning
Nein, dieser
Redner ist kein Demagoge. Seine Gestik ist ruhig,
beschwichtigend. Seine Mimik ist verhalten. Der Mann scheint
den Menschen nur gut zuzureden. Und
die Zuhörer unten? Nein, dies sind keine fanatischen
Anhänger. Ihre Hände spreizen sich nicht ekstatisch, sie
sind entspannt, winken dem Mann da oben freundlich zu. Ihre
Begeisterung ist ohne Überschwang.
Dennoch gefällt mir etwas nicht. Da ist die große Kluft
zwischen dem da oben, der klar zu sehen ist, und denen da
unten, die gesichtslos bleiben. Und überhaupt: ich bin
skeptisch, wenn einem Menschen zugejubelt wird, und sei der
Jubel noch so verhalten. Helmut Engels
Nachtrag
Wenn
man das Bild im Original sieht, wirkt der "Redner" eher
unheimlich, er hat tatsächlich etwas von einem Verführer.
Helmut Engels
Nein, es ist wohl nicht der heilige Nikolaus. Die Menschen
begrüßen ihn freundlich, vielleicht jubeln sie verhalten. Es
ertönt Musik, der Kelch einer Tuba ist im Bild. Er steht auf
einem Balkon ohne Geländer, an herausgehobener Stelle, damit
alle ihn sehen. Er schaut zu den Vielen hin. Mit einer Hand
weist er eine Richtung, die andere hält er hinter dem Rücken
verborgen. Eine unklare Gestik könnte die Rede stören. Eine
Kontur
ohne Aggression, aber auch nicht harmonisch. Eine gewisse
Spannung steckt
drin. Der Mann bleibt von der Kante zurück, er könnte
hinabfallen. Etwas Distanz will er wohl halten. Ein
Mitteilender, der Aufmerksamkeit sucht, der Zuhörer wünscht,
für seine Sache wirbt. Seid aufmerksam, aber jubelt nicht
unbedacht.
Franz-Josef Moormann
Der
Agitator heizt mit Trara die Massen auf.
Das finde ich gefährlich,
weil es die Gemüter statt der Vernunft anspricht
Prof. Dr. Gertrud M. Krüskemper
Eine
verführerische Botschaft lässt die Menge jubeln. Das
Männliche und die Hände spielen wieder eine
besondere Rolle.
FraWi
Servaes
Fragen
fördern unsere Gedanken oft mehr als Antworten.
Sehen wir einen modernen
Simon Petrus, also
"Menschenfischer", oder einen modernen
Volkstribunen und Diktator, also
"Menschenverführer"? Vielleicht handelt es
sich aber auch eine Momentaufnahme zwischen
"Hosianna" und "kreuziget ihn".
Ilse und Ludwig Petry, Meerbusch
Ein
Mann gestikulierend und redend auf einem Dach: Die
Szene erinnert an den Triebtäter,
der kürzlich aus der Untersuchungshaft auf das
Gefängnisdach floh und für geraume Zeit den Staat
und das staunende und ängstliche Publikum in Atem
hielt. Aber hier - eine Ansammlung von Menschen,
die mit den Händen dem Redner zuwinkt, gar mit einer
Tuba dabei, es ist wohl eine andere Situation, aber
nicht eine gänzlich verschiedene. Wilhelm Schiefer
hat es bisher in seinen Bildern mit dem Wort, mit
Kommunikation zu tun. Dieser Mann schaut drohend
aus, er hält seine Rechte herausfordernd den
Zuhörern entgegen. Die Linke ist hinter seinem
Rücken verborgen. Worte können verbinden. So sieht
es der Evangelist Johannes. "Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.
... Alles ist durch das Wort geworden. ... In ihm
war das Leben, und das Leben war das Licht der
Menschen" (Kap. 1, Vers. 1 - 4). Das Licht leuchtet
auch in der Finsternis, so philosophiert er
weiter, aber die "hat es nicht erfasst".
Dann nämlich wird das Wort zur Demagogie, zur
"Volksverführung in verantwortungsloser Ausnutzung
von Gefühlen, Ressentiments, Vorurteilen und
Unwissenheit durch Phrasen, Hetze oder Lügen". Einem
solchen Volksverführer jubelt das Volk zu, mit
Pauken und Trompeten, selbst wenn er es in einen
totalen Krieg hetzt. Dr.
Herbert Jacobs
Ein Mann steht auf einem
Sprungbrett und blickt auf die Menge, die unter
ihm steht und die rechten Hände erhebt. Es sieht
so aus, als hätte der Mann eine Pistole gezückt
und zielt in die Menge, aber das ist nicht klar
zu erkennen. Sein Gesicht ist von Scheinwerfern
angestrahlt, sein Blick ist kalt, trotzdem
jubelt ihm die Menge zu, man könnte meinen, sie
jubelt ihm mit dem Hitlergruß zu. Mitten in der
Menge sieht man ein Megaphon.
Das Bild ist unangenehm und ruft ungute
Assoziationen wach.
Utz Peter Greis
Der
Adventskalender von Wilhelm Schiefer wächst weiter. Heute bringt der Vorster
Künstler das 6. Bild an die Scheiben der Rathausgalerie an. „Die Hände sind zum
Greifen nahe. Fordert der Mann auf der Plattform die Menge heraus oder will er
sie beschwichtigen?“, fragt sich
WZ−Redakteur Heiko Mülleneisen.
Kommentare sind willkommen
(bitte die Bild-Nummer vermerken)
christa_kolling@yahoo.de
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