Kunstaktion
"Wachsender Adventskalender" - Tag 24

Unten
in der Mitte: eine Futterkrippe, hell strahlend in reinem Weiß.
Rechts und links davor, spiegelbildlich gleich, zwei Männer.
Ihr Umriss wird gebildet von dem Licht der Krippe. Sie stehen
da, die Arme offenbar verschränkt, die Unterschenkel gekreuzt.
Lässig. Abwartend. Nicht einmal neugierig. Von Skepsis zu
sprechen, würde schon Betroffenheit voraussetzen. Eher scheint
sich Gleichgültigkeit auszudrücken.
Der Blick des Betrachters geht in den oberen Teil des Bildes.
Der Himmel öffnet sich kreisförmig, die himmlischen
Heerscharen bilden die Aureole der leuchtenden Pforte. Das Weihnachtsmotiv
ist offensichtlich.
Doch halt, schau genau hin, mach dir nichts vor! Sind dies wirklich
Engel? Ja, einige wenige der Gestalten könnte man als Engel
bezeichnen, andere aber scheinen Menschen zu sein. Die meisten
jedoch sind Zwitterwesen, Menschen, deren Arme zu Flügeln
geworden sind. Menschenvögel, Engelmenschen. Manche haben
mehr Ähnlichkeit mit Lumpenfetzen als mit lebendigen Geschöpfen.
Engel stellt man sich kraftvoll vor. So waren sie gemeint vor
ihrer Verwandlung in süßliche Mädchengestalten.
Aber diese Wesen da sind ohne Kraft. Sie treiben hilflos, taumeln.
Die meisten werden von dem Lichtkreis angezogen, scheinen sich
dem Sog zu überlassen, der von ihm ausgeht. Vielleicht streben
sie sogar dorthin. Andere fallen hinab, stürzen durch den
Raum, der Erde entgegen, dorthin, wo die Krippe steht.
Das Bild irritiert, beunruhigt. Keine Deutung drängt sich
auf. Mir geht vieles durch den Kopf, auch Widersprüchliches.
Die Wesen, die die Aureole des Lichtkreises bilden und zu einem
Teil mit ihm eins werden, können sie jenseitige Mächte
sein? Ich schließe dies aus, trotz des ersten Eindrucks,
der Überirdisches vermitteln möchte. Es sei denn, die
himmlischen Heerscharen hätten all ihre Kraft verloren. Auch
dies wäre zu bedenken. Ich meine jedoch, jene seltsamen Wesen
müssten anders gedeutet werden. Vielleicht wird hier in vielen
Einzelzeichen die menschliche Existenz sichtbar gemacht, die schwieriger
ist als die aller anderen Lebewesen. Also eine schlechte Botschaft?
Aber da ist dieser Lichtkreis, mit zentrierender Wirkung. Zeichen
einer Sehnsucht, einer Hoffnung. Dies ist zumindest denkbar. Und
wie hängen dann Lichtkreis und Krippe zusammen, bedeuten
sie letztlich dasselbe? Ich weiß es nicht, hielte eine solche
Gleichsetzung jedoch für sinnvoll.
Krass ist jedenfalls der Gegensatz zwischen dem aufgeregten Gewimmel
in der Höhe und den ruhig vor der Krippe stehenden Männern.
Wenn man lange und genau genug den oberen Teil des Bildes angeschaut
hat, bekommt ihre Haltung eine neue Qualität. Sie wirken
nicht mehr gleichgültig, sondern einfach entspannt, gelassen,
ja zuversichtlich. Sie warten schon einige Zeit, ohne ungeduldig
zu werden. Die Krippe ist leer. Warten diese Männer darauf,
dass eine neue Zeit anbricht, verkörpert in einem Kind?
Das Bild des 24. Tages bleibt rätselhaft, seine Vieldeutigkeit
lässt sich durch eine glatte Deutung nicht aufheben. Wilhelm
Schiefer will, dass wir uns mit einem flüchtigen Eindruck
nicht zufrieden geben, sondern genau hinschauen und in unserem
Denken nicht so leicht an ein Ende gelangen.
(Helmut Engels, Willich)
Über
die Geburt Jesu
Nacht,
mehr denn lichte Nacht! Nacht, lichter als der Tag!
Nacht,
heller als die Sonn, in der das Licht geboren,
Das
Gott, der Licht in Licht wohnhaftig, ihm erkoren!
O
Nacht, die alle Nacht und Tage trotzen mag!
O
freudenreiche Nacht, in welcher Ach und Klag
Und
Finsternis und was sich auf die Welt verschworen,
Und
Furcht und Höllenangst und Schrecken war verloren!
Der
Himmel bricht; doch fällt nunmehr kein Donnerschlag.
Der
Zeit und Nächte schuf, ist diese Nacht ankommen
Und
hat das Recht der Zeit und Fleisch an sich genommen
Und
unser Fleisch und Zeit der Ewigkeit vermacht.
Die
jammertrübe Nacht, die schwarze Nacht der Sünden,
Des
Grabes Dunkelheit muß durch die Nacht verschwinden.
Nacht,
lichter als der Tag! Nacht, mehr denn lichte Nacht!
Andreas
Gryphius