Kunstaktion "Wachsender Adventskalender" - Tag 20

Das Bild als komplexe Chiffre.
Balken, die ein massives Kreuz zeichnen: drückende Last.
Die Silhouette eines gebeugten Menschen: ohne Hoffnung, ohne Mut.
Das Logo, ein stilisiertes A: Arbeitslosigkeit.
(Helmut Engels)

Drei Elemente bestimmen die Komposition des Bildes, das (Fenster-) Kreuz, das Logo des Arbeitsamtes im linken oberen Feld des Kreuzes und der Mann, der die vom Kreuz begrenzte rechte Bildhälfte fast völlig einnimmt.
Der Schnittpunkt des Kreuzes liegt links unterhalb der Bildmitte, und Längs- und Querbalken sind gegen die vertikale bzw. die horizontale Bildachse geneigt, so dass der Betrachter von unten zu der Szene hinaufschaut. Der Mann dreht dem Betrachter den Rücken zu und hat - wohl in resignierter Haltung - die Schultern hochgezogen und die Hände in die Hosentaschen gesteckt.
Die Rückenfigur hat in der Kunstgeschichte eine lange Tradition und spielt z.B. in vielen Bildern von Caspar David Friedrich eine zentrale Rolle. Während bei ihm aber die Personen und der ihrem Blick folgende Betrachter in die Weite der Natur sehen und das Naturerlebnis auch mit religiösen Empfindungen in Verbindung steht, befindet sich der Mann in Wilhelm Schiefers Bild in städtischer Umgebung, und seine Sehnsucht ist auf die Erlangung einer Arbeitsstelle gerichtet. Das Kreuz scheint ihn wie ein Gitter von seinem Ziel abzuhalten. Oder ist es vielleicht Symbol für den Leidensdruck, dem dieser Mann - wie unzählige unserer Mitmenschen- durch seine Arbeitslosigkeit ausgesetzt ist?. (Dr. Brigitte Splettstößer, Kaarst)

Adventskalender lassen uns "hinter die Türen" schauen, so stand es neulich in der NGZ. Die Überraschung, die er (vermeintlich) bereithält, gefällt häufig auch Erwachsenen, auch wenn es sich bei den meisten Kalendern um mäßig Spannendes, Kitsch, billige Schokolade und pseudo-religiöse Darstellungen handelt. Realität wird ausgeklammert. Ganz anders der Adventskalender von Wilhelm Schiefer. Keine Türen, die erst geöffnet werden müssen. Aber er fordert die Bereitschaft, genau auf die Darstellung an der Fassade zu schauen.
Der 20. Tag: Ein Bild, in zwei Hälften geteilt. Der Schatten eines Mannes zur rechten Seite, fast gleich groß ein A mit Kreis darum. Das kennt man: das Logo des Arbeitsamtes. Es sieht aus wie ein Menetekel und etwas Drohendes geht davon aus. Ich erinnere mich daran, dass ich früher glaubte, im Arbeitsamt würde ARBEIT vermittelt. Heute ist es der Platz, wo Arbeitsuchende verwaltet werden. Die Arbeit ist woanders. (Annette Landgraeber, Köln)

Das A kennt man doch. Aber es hängt doch hier arg schief. Das A einer derart personell aufgeblähten ARBEITsvermittlungsargentur, das so schräg hängt, dass sie nur sich selbst Arbeit zu verschaffen vermag. Im Bild zwingt das A die anderen Ebenen und Linien in eine fatale Schräge (nebenbei: geniale Bildaufteilung!); hier gibt´s nichts Gerades.
Da steht/hängt/stützt sich/lehnt schräg ein schwergewichtiger alter Mann an einem - schrägen - Geländer vor dem ARBEITsvermittlunginstitut. Hat er oder hat er nicht Arbeit gefunden? Wohl eher nicht, wie er da so steht! Stürzt er sich gleich hinunter, weil ihm keine Arbeit vermittelt wurde?
Zu tausenden gehen Arbeitsplätze verloren (s. Tagesschau). Warum? Schlechtes Management; die Herren haben das doch schon lange gewusst und die Hände im Schoß behalten. Und jetzt stehen die tausenden wieder vor dem A. Der Kreis schließt sich auf makabre Weise. (Dr. Karl Remmen, Neuss)

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© Wilhelm Schiefer (2002)